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9. Jesus – wer war und wer ist das?

Woher kommt das eigene Verständnis von Jesus? Es gibt Romane und historische Darstellungen über ihn, Filme, Musik, und das Neue Testament in der Bibel, nicht zu vergessen die vielen Abbildungen und Kreuze in den Kirchen und die kirchliche Lehre. Aus all dem kann ausgewählt und das eigene Jesusbild geformt werden, das von „Jesus der Mensch“ bis hin zu „Gottes Sohn“ und Weltenrichter am Ende der Zeit reicht. Welche Bedeutung hat Jesus für den Glauben in dieser Zeit? Ist hauptsächlich seine Lehre und das Vorbild seines Lebens wichtig oder sein Tod als Opfer zur Vergebung der Sünden und seine Auferstehung als Beginn neuen Lebens?

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Jesus der Mensch

Jesus war der Sohn von Maria und Josef, er hatte vier Brüder und einige Schwestern, sein Leben und Sterben sind historisch belegt. Er war Jude und wurde während der letzten Regierungsjahre Herodes’ des Großen geboren, in den Jahren 7–5 vor unserer Zeitrechnung. Er war von Beruf Bauarbeiter. Er kam in Kontakt mit der Taufbewegung (26/28 n. Chr.) und ließ sich taufen. Dieses Ereignis kam für ihn einer Berufung gleich. Er wirkte ca. 3 Jahre und wurde vermutlich im Jahr 30 gekreuzigt.

Jesus wurde als Lehrer, Wundertäter, Heiler gesehen. Er hat viele Menschen nachhaltig beeindruckt und beeinflusst. Er brachte den Menschen die Nähe Gottes und die Grundsätze seines Willens (beides zusammen wird auch als „Reich Gottes“ bezeichnet). Jesus, der Mensch, stand in einer besonderen, einzigartigen Beziehung zu Gott, er stand Gott nahe („Gesicht“ Gottes, Konzil von Chalcedon im Jahre 451 n.Chr.). Er war ein von der Urmacht Gottes erfüllter, ein gottesgeistbeseelter Mensch.

Er ließ erkennen, wie gutes, gottgefälliges Leben für Menschen aussieht und möglich ist. Wie Gott ganz in einem Menschen da sein und wirken kann.

„Jesus rief zu einer Umkehrung der gewohnten Maßstäbe auf, nach denen die Macht über andere ein Ausdruck der eigenen Wichtigkeit und anderen zu dienen ernied­rigend ist, zu einem Verhalten also, das dem in der biologischen Evolution geltenden „survival of the fittest” diametral wider­spricht: ‚Wer groß sein will unter euch, der soll euer Diener sein; und wer unter euch der Erste sein will, der soll aller Knecht sein’ (Mk 10,43.44, Stadelmann).

Viele haben damals seine Botschaft nicht aufnehmen können und wollen. Heute würde man von Überforderung sprechen. Seinen Gegnern machte sie Angst.

Jesus ging davon aus, dass die Gottesherrschaft (Lk 17,20f) schon begonnen hat und ihre endgültige Durchsetzung kurz bevor stand. Er hat sich wohl als Repräsentant des Gottes-Reiches verstanden. Menschen spürten dies, weil sie in seiner Nähe Heilung und Heil erfuhren. Er behandelte Frauen und Kinder gleichwertig. Er setzte sich mit Frauen über Glaubensfragen auseinander (Maria und Martha). Seine Hinwendung zu Ausgegrenzten (Zachäus, der Steuereinnehmer) verwirrte viele, die das miterlebten. Seine Nähe war für viele heilsam. Die Menschen erlebten, was es heißt, geliebte Kinder Gottes zu sein. Das bedeutete gleichzeitig, dass die Menschen sich untereinander als Geschwister annahmen. Sich gegenseitig helfen, wenn Not ist, sich beistehen, wenn einer scheitert (Gleichnis verlorener Sohn), war jetzt das angemessene Tun.

Das Reich Gottes ist mit Jesus auf der Welt angebrochen. Es bringt Gottes Nähe und seinen Willen. Das bedeutet, dass der Mensch wichtiger ist als die Einhaltung von speziellen Gesetzen. Jesus verteidigte das Ährenraufen (d.h. arbeiten) am Sabbat, weil die Jünger Hunger hatten. Er heilte am Sabbat um der Menschen willen. Diese Haltung macht außer der Kritik an menschenfeindlichen Gesetzen deutlich, was gute Gesetze bewirken sollen, nämlich, dass sie dem Menschen nützen und dienlich sind. Die Gesetzesbeachtung war im damaligen Judentum durch rigides Buchstabenverständnis verfälscht worden.

Das Besondere und Einzigartige an Jesus war, dass er Leben und Welt als Geschenk und Gnade verstand und dies besonders den Armen und Benachteiligten verkündete.

Bezeichnungen für Jesus wie z.B. „Sohn Gottes“ sowie „Messias“ und „Christus“ sind Hoheitstitel, die die Menschen Jesus gegeben haben, um seine Würde und Bedeutung für die Gläubigen hervorzuheben. Nicht alle hat Jesus selbst gebraucht. Mit „Christus“ und „Messias“ wurde die Hoffnung auf einen neuen und gerechten König, einen neuen David verbunden. Der Titel „Sohn Gottes“ ist analog den Würdetiteln im alten Orient zu verstehen, dort, u.a. in Ägypten, wurden die Herrscher so bezeichnet. Heute werden weitere Bezeichnungen für Jesus gefunden, z.B. nennt ihn B. v. Weizsäcker in ihrem Glaubensbekenntnis einen „Aktivisten in Sachen Gott“:

„Ich glaube an Jesus –
Als Aktivisten in Sachen Gott;
Dessen Worte mir Ansporn,
dessen Taten mir Vorbild,
dessen Werte mir wichtig sind,
auch wenn Nichtchristen für sie streiten.
Zu dem man beten kann, aber nicht muss.
Denn an einen persönlichen Gott glaube ich nicht.“

Jesu Tod

Der gewaltsame Tod Jesu war die Konsequenz seines gottgeleiteten und gotterfüllten Lebens. Für die einen war er ein neuer irdischer Herrscher, für andere der Hoffnungsträger einer Revolution. Einer vorwiegend gottlosen Welt wird der Spiegel vorgehalten. Menschen, die das tun, leben gefährlich, weil die Welt, die Menschen, nicht wirklich wissen wollen, wie sie sich verhalten.

Jesus ist nicht für, sondern an den Menschen gestorben. Aber für den Glauben war sein Tod nicht das letzte Wort. Die tödliche Kraft in den Menschen, die Jesus umgebracht hat, ist nicht das Letzte. Der Glaube an Gott eröffnet Größeres als alles endgültige Tun der Menschen. Jesus scheitert an der Macht des Bösen. Aber Jesu Scheitern wird – ein wahres Wunder! – zum Triumph des Lebens über den Tod und das Böse. „Der Tod am Kreuz ist die Offenbarung realer Menschlichkeit: so sind wir; so gehen wir miteinander um.“ (Joachim Kunstmann, Die Rückkehr der Religion, S. 265)

Jesus bleibt bis in den Tod hinein dabei, dass Gott selbst hinter ihm steht und sich in Verbindung mit seiner Person den Menschen zeigt. Wie sich schon in seinem Leben die Kraft und die Liebe Gottes zeigte, so ist im Scheitern und Sterben Jesu eine einzigartige Nähe Gottes zum Menschen hergestellt worden. Im Glauben an Jesus erkennen viele Menschen Gott, wie er für sie in Jesus ihr eigenes Schicksal miterleidet. Im Sterben Jesus geschieht die größtmögliche Solidarisierung Gottes mit Menschen. Weil Jesu Scheitern, sein Tod kein Scheitern bleibt, erfährt der Mensch in der Auferweckung Jesu eine nicht fassbare Intensität der Gottesnähe. Die Menschen haben sie als Heiligen Geist beschrieben.

Jesu Tod ist kein Opfer für die Menschen, wie sie in antiken Religionen bezeugt sind. Trotzdem ist Jesu Tod in diesem Verständnis ein Tod für die Menschen, kein Opfer, weil den Menschen eine neue Dimension über den Tod hinaus eröffnet wurde. Damit geschieht eine Neubewertung des Todes, die einer Überwindung gleichkommt.

Gott vergibt den Menschen, dass Jesus an ihnen starb. Sie waren nicht in der Lage, seine Botschaft zu verstehen und aufzunehmen. Die Auferweckung besagt, dass es weitergeht mit Gott und den Menschen, er versöhnt sich mit ihnen. Das wurde von den Christen in der Kirche als gleichbedeutend mit Erlösung und Vergebung von Schuld aufgenommen.

Die Auferweckung (Entrückung)

Die Auferweckung Jesus ist nicht als historisches Ereignis zu verstehen. So auch Hans Küng: „Auferweckung ist kein raum-zeitlicher Akt. Auferweckung meint nicht ein Naturgesetze durchbrechendes, innerweltlich kon­statierbares Mirakel, nicht einen lozierbaren und datierbaren su­pranaturalistischen Eingriff in Raum und Zeit. Auferweckung be­zieht sich auf eine völlig neue Daseinsweise in der ganz anderen Dimension des Ewigen, umschrieben in einer Bilderschrift, die interpretiert werden muss.“

Die Jünger und Jüngerinnen, seine Anhänger haben den Tod Jesu schmerzlich erlebt und erfahren, gleichzeitig aber seine wirkmächtige Gegenwart gespürt: Er ist tot – doch er lebt! Wie kann mit dieser Erfahrung umgegangen werden? Man kann eine der beiden Erfahrungen bestreiten, man kann versuchen, diesen Widerspruch rational aufzulösen. Oder die eigene Wirklichkeit und das Wirklichkeitsverständnis verändern sich. Es wird vereinbar, was unvereinbar erscheint, weil der Glaubende sich als Teil des Geschehens, in dem Gott wirkt, versteht.

Im Neuen Testament werden überwältigende Erfahrungen mit Jesus nach seinem Tod geschildert. In den älteren Texten ist zunächst nur ohne Interpretation von Erscheinungen Jesu die Rede, die besagen, dass Jesus, in welcher Form auch immer, weiterlebt. Spätere Ausgestaltungen „berichten“ dann von einem leeren Grab oder einem wiederbelebten Toten, der isst und trinkt und dessen Wunden noch erkennbar sind. Zur Glaubwürdigkeit dieser Berichte trägt bei, dass Jesus nicht nur Menschen begegnet, die schon zu glauben angefangen hatten, sondern auch solchen, die sich von ihm abgewandt hatten. Die Auferweckung Jesu ist ein alles übergreifendes und über sich hinausweisendes Ereignis, er ist nicht in dieses geschichtliche Leben, sondern in ein anderes, größeres Leben hinein auferweckt worden. Dies zeigt sich vor allem an der Kraft seiner zuvor wankelmütigen und schwachen Anhänger (Petrus), die unerschütterlich, ja freudig ihren römischen und anderen Verfolgern standhielten.

Ob Jesus (mit einem Auftrag an Petrus) eine (die!) Kirche selbst gegründet hat ist fraglich. Jedenfalls ist eine/sind viele Kirche/n aus der von ihm begonnenen Bewegung entstanden.

Nach Jesu Lebens-Zeit ging es weiter – bis zur Gegenwart

Die Interpretation der Je­suserscheinungen nach seinem Tod am Kreuz als leibliche Auferstehung ließ weitere Erzählungen dieser Art wie z. B. „Himmelfahrt“ entstehen, und Jesus wurde mehr und mehr zu einer gött­lichen Person. Diese Entwicklung hatte bereits im Johannesevangelium begonnnen, an dessen Anfang Jesus als göttlicher Logos verkündet wird, der vom Urbeginn der Welt an schon bei Gott gewesen war, von Gott als das erlösende Licht auf die Erde gesandt, um dann wieder zu Gott zurückzukehren. Das alles folgt aus dem Glaubenssatz, dass Gott in Jesus Mensch geworden ist. Tatsächlich ist heute das Weihnachtsfest so hochrangig wie das Osterfest. Beide Glaubensinhalte bringen eine alles übersteigende Wertschätzung Jesu zum Ausdruck. Aber das muss nicht dazu führen, dass Jesus Gott gleich gesetzt wird (wie das auch in der Vorstellung vom dreieinigen Gott so erscheint). Christen mit eigenen Glaubensvorstellungen (wie z.B. Beatrice v. Weizsäcker in „ist da jemand?) lehnen es ab, den Menschen Jesus als Gott anzusehen und zu ihm zu beten.

Die weitere Entwicklung zeigt – bis heute: Gott ist im weitererzählten Zeugnis von Jesus präsent. Jesus ist trotz Leiden und Tod nicht gescheitert, im Heiligen Geist begleitet er bis heute seine Gemeinde. Der Heilige Geist ist die Kraft Gottes, die die Weiterexistenz Jesu auf der Erde garantiert. Ein Grund, an die Überwindung des Todes durch Gott zu glauben.

Ein Gedicht dazu:

Passion

Dem Leiden und Sterben Jesu hilflos ausgesetzt,
fragten sie nach dem Wozu und Warum.
Wo ist der Sinn?
So starb er, wie sie meinten: Für unsre Sünden,
Er litt für uns, anstelle von uns,
versöhnte Gott.
War das der Gott Jesu?
Der Gott, den er Abba, Papi nennt?
Dem er vertraute?
Unergründlich: Warum und Wozu.
Viel erklärt und wenig gewusst.
Und doch: er hat durchlitten,
alles, was einem Menschen blühen kann,
bis in die finsteren Tiefen des Todes.
Wozu und Warum? Unergründlich?
In ihm aber zeigte sich der Grund
Im Grund des anderen Gott zu sehen.

(Heiderose Gärtner)

Dazu als Beispiel für die Bedeutung Jesu für den Glauben ein persönliches Theologisches Statement  von Arbeitskreismitglied Reinhard Cramer in der Anlage

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