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15. Theodizee – Gott entschuldigen?

Menschen fragen bei Verbrechen, großen Übeln, Katastrophen und schwerem Leid: Warum trifft es gerade mich? Meine Angehörigen? Warum gibt es Leid und Böses in der Welt, warum so viel? Ist es eine Strafe (Gottes)?

Philosophie und Theologie haben sich ausführlich und seit langem mit diesen Fragen beschäftigt, die starke Zweifel am Glauben an Gott auslösen können.

Ergebnis: Die Antworten sind unbefriedigend (s. auch „Der andere Gott“). Muss man sich dann eben damit abfinden, dass es eine dunkle, verborgene Seite Gottes gibt, in der das Böse seinen Grund hat? Christen sollen sich im Glauben an den Gott der Liebe halten. (Luther)

Nach nichtpersonalem Verständnis öffnet die größere Wirklichkeit Gottes den Blick für die Verbundenheit aller Menschen: Die Opfer von Katastrophen und Unglücksfällen, die Kranken und Behinderten sind in einem größeren Zusammenhang miteinander verbunden und wurzeln im gleichen Seinsgrund. Daraus folgt Verantwortung füreinander, Bereitschaft und Fähigkeit zu gemeinsamem Leben und gegenseitiger Hilfe.

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Klassische Antworten auf die Theodizee-Frage

Menschlich ist es, sich bei Verbrechen, großen Übeln, Katastrophen und schwerem Leid die Frage zu stellen: Warum trifft es gerade mich? Meine Angehörigen? Warum gibt es Leid und Böses in der Welt, warum so viel? Ist es eine Strafe (Gottes)?

Philosophie und Theologie haben sich ausführlich und seit langem mit diesen Fragen beschäftigt, die starke Zweifel am Glauben an Gott auslösen können.

Für eine Mitwirkung Gottes bei Bösem und bei Leid werden meist folgende Möglichkeiten genannt:

A) Gott ist gerecht: Er schickt das Böse als Strafe.
B) Gott ist nicht allmächtig: Er kann das Böse nicht verhindern.
C) Gott hat dem Menschen die Freiheit gegeben, auch für das Böse.
D) Gott ist nicht nur gütig und nicht gerecht; er will (auch) das Böse und schickt Katastrophen nach für Menschen nicht erkennbaren Absichten.
E) Gott hat mit dem Gang der Welt nach dem Ende des Schöpfungsaktes nichts mehr zu tun (Uhrmacher-Modell).
F) Es gibt gar keinen Gott: Katastrophen als Argument für den Atheismus.

Das biblische Buch Hiob ist eine Beispielgeschichte für die Klage von Menschen, denen ohne Verschulden großes Leid widerfährt, die aber weder von Freunden noch von Gott zufriedenstellende Antworten erhalten.

Das Böse ist ohne Widersprüche zu Gottes Eigenschaften nicht zu erklären

Die oben genannten sechs Möglichkeiten, das Böse in der Welt ohne Widerspruch zu Eigenschaften Gottes wie allmächtig und gerecht zu verstehen, wurden in vielen Versuchen zu einer Theodizee (Rechtfertigung Gottes) aufgenommen. Sie sind nach überwiegender Meinung von Theologen und Philosophen nicht oder nur zu einem geringen Teil stichhaltig, denn

  • sie führen entweder zu der Überzeugung, dass das Entstehen des Bösen und des Leids mit der Güte, Gerechtigkeit und Macht Gottes unvereinbar, also sein Geheimnis sei;
  • oder kommen zu der Aussage: In der von Gott geschaffenen und nur durch ihn wirklichen Welt ist in der Freiheit zur Evolution auch das moralisch Böse und das naturhaft Lebensschädliche mit angelegt.

Zur Überwindung des Widerspruchs zwischen Gottes Güte und Allmacht und dem Auftreten von Übel und Leid wird auch argumentiert:

  • Gott selbst leidet in seinem Sohn Jesus am Kreuz. Das Leid ist nun in Gott aufgehoben (Bonhoeffer und Moltmann).
  • Das Böse hat auch seine guten Seiten (Augustin).
  • Es gibt eine dunkle, verborgene Seite Gottes, in der das Böse seinen Grund hat. Christen halten sich im Glauben an den Gott der Liebe (Luther).
  • Gott ist keine Person, die der Mensch für Böses verantwortlich machen könnte. Er ist Urgrund des Seins und Urmacht des Lebens – zu seiner Schöpfung gehört sowohl das (für Menschen) Böse als auch das Gute. Das Universum ist (bis jetzt) lebens- und menschenfreundlich („anthrop“).

Der liebende Gott ist eins mit dem verborgenen, unergründlichen Gott. Damit entfällt die Vorstellung von einem allmächtigen, allgütigen, allwissenden Gott. Gott als Urgrund umfasst den „guten“ Gott und den „bösen“ Gott. In diesem Zusammenhang sind auch die für uns und die Umwelt zerstörerischen und leidvollen Ereignisse und Anlagen „aufgehoben“.

Aus dieser Sicht ergeben sich weitgehende praktische Konsequenzen:

Leiden ist keine Strafe Gottes

„Leiden kann auch ohne einen personal gedachten, mehr oder weniger willkürlich (und kritisch gesehen sogar despotisch) handelnden „Gott“ ein besonderer Ort der Lebensfindung und Wahrheits- („Gottes“-) Erfahrung sein und werden.“

Individuelles Leiden ist nach diesem Verständnis keine Strafe Gottes, auch wenn es offensichtlich individuell oder gesellschaftlich verursacht wurde. Krankheiten und Fehlentwicklungen sind meist biologisch erklärbar durch die Mutation von Zellen verursacht, die auch zur Evolution des Lebens beigetragen hat. Die davon Betroffenen erleiden stellvertretend mehr als andere die Nachteile dieser Offenheit für Entwicklung und Wachstum, was sich durch anerkennende und helfende Gemeinschaft mit weniger Betroffenen zwar nicht ausgleichen, aber doch erträglicher machen lässt.

Auch Erdbeben und Vulkanausbrüche sind keine Gottesstrafen, sondern natürlich erklärbare Erscheinungen der Erdentwicklung, denen in Zukunft durch erdbeben­sichere Bauweise, Tsunami-Warnungen u.Ä. in internationaler Zusammenarbeit entgegengewirkt werden kann. Das Gleiche gilt auch für Hungersnöte und Epidemien, selbst dann, wenn ihre Bekämpfung noch in den Anfängen steckt.

In der größeren Wirklichkeit Gottes sind alle Menschen miteinander verbunden

Nach nichtpersonalem Verständnis öffnet die größere Wirklichkeit Gottes den Blick für die Verbundenheit aller Menschen: Die Opfer von Katastrophen und Unglücksfällen, die Kranken und Behinderten sind in einem größeren Zusammenhang miteinander verbunden und wurzeln im gleichen Seinsgrund. Daraus folgt Verantwortung füreinander, Bereitschaft und Fähigkeit zu gemeinsamem Leben und gegenseitiger Hilfe. Daraus folgt auch ein aktives Verhindern von Aktionen (z.B. Krieg, Verbrechen), die vorhersehbar Leiden erzeugen. Die Opfer des Bösen und die Leidenden sind nicht Abgesonderte und defizitäre Sonderfälle, sondern haben das volle Leben mit gemeinsamem Nehmen und Geben, einbezogen und gleichwertig, wie es ja schon mit Behinderten praktiziert wird und dem Verständnis Gottes als einem großen verbindenden „Reich“ entspricht.

In der von Gott geschaffenen Welt ist in der Freiheit zur Evolution auch das Böse und Lebensschädliche als Möglichkeit mitangelegt.

Ein Verständnis des christlichen Gottes ohne diese Gegensätze stellt sich weiterhin als fast unmöglich heraus: Der liebende, lebensfreundliche Gott ist auch der Strafende, Zerstörende. Neuere Gottesvorstellungen sind daraufhin zu prüfen, ob sie etwas zur Lösung dieses Problems beitragen können (siehe auch das vorhergehende Thema „Der andere Gott – damals und heute“).

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